Regierungsrat Siggy Koenig über neue Wege in der Bildungspolitik (tageblatt)
02. Mars 2005Klassenwiederholungen äußerst teuer und höchst ineffizient
Alex Fohl
In Zusammenhang mit einer langfristig angelegten Schulreform plädiert 0ECD-PISA- Koordinator Andreas Schleicher u.a. für die Festlegung von Bildungsstandards und eine individuellere Schülerbetreuung (siehe Tageblatt-Ausgabe vom 1. März).
Daneben gelten Lehreraus- und Weiterbildung, Motivation, eigenverantwortliches Lernen und eine verbesserte Evaluation als weitere Kernbereiche einer strukturierten Bildungsreform.
Erste Ansätze in die von Schleicher vorgezeichnete Richtung gibt es bereits in Luxemburg. Das Schulprojekt "Neie Lycée" versucht nicht nur inhaltlich, sondern auch methodisch neue Wege.
Dabei soll der Beziehung zwischen Lehrerteam und Schülern und der Verantwortung der Schulpartner eine große Bedeutung zukommen. Darüber hinaus laufen Harmonisierungsbestrebungen zwischen klassischem und technischem Sekundarunterricht (Stichwort Versetzungskriterien). Es wird zudem verstärkt über die Auswirkungen des schulischen Scheiterns und die Sprachsituation an Luxemburgs Schulen nachgedacht. Derzeit läuft im Unterrichtsministerium auch eine Diskussion über die Festlegung von notwendigen Bildungskompetenzen - eine Kernforderung des PISA-Vaters Andreas Schleicher.
In der Diskussion um die Festlegung von Bildungskompetenzen gehe es darum, Missverständnisse zu vermeiden, so Regierungsrat Siggy Koenig. In Betracht kämen keine Mindeststandards, sondern ein Kontinuum an aufbauenden Kompetenzen im Sinne Schleichers. Allzu detailliert sollten diese Vorgaben aber nicht sein, weil der Spielraum der Lehrer sonst zu sehr eingeengt würde. Auswirkungen auf die Lehrpläne wird die Festlegung von Bildungsstandards auch haben. Mehr Zeit soll künftig auf die Anwendung von Wissen verwendet werden, so dass Lehrpläne notgedrungen abgespeckt werden müssen.
Den Schulen und Lehrern soll dies mehr Flexibilität im Hinblick auf einen gezielteren Unterricht bringen.
Problematisch in Luxemburg ist nach wie vor das hohe Ausmaß des schulischen Scheiterns. Für PISA-Koordinator Andreas Schleicher sind Klassenwiederholungen nicht nur äußerst teuer, sondern auch höchst ineffizient.
25.320 Jahre Rückstand
Das finanzielle Ausmaß des schulischen Misserfolgs. sei schwer chiffrierbar, so Siggy Koenig dem Tageblatt gegenüber. Im Schuljahr 200212003 hätten im technischen Sekundarunterricht (EST) laut Hochrechnung 22.093 Schüler insgesamt 25.320 Jahre Rückstand angehäuft. Auf den einzelnen EST -Schüler umgerechnet, macht das einen Rückstand von 1,15 Jahren aus. Im klassischen Sekundarunterricht beläuft sich der Rückstand Koenig zufolge auf 0,27 Jahre pro Schüler. Wenn man nun 15.000 Euro an Kosten für ein verpatztes Schuljahr voraussetzt, so kann man allein am Beispiel des angehäuften EST-Rückstandes Mehrkosten in Höhe von knapp 380 Mio. Euro hochrechnen. Vor dem Hintergrund einer derartigen Vergeudung an menschlichen. und finanziellen Ressourcen macht es Sinn, grundlegende Bildungsreformen in die Wege zu leiten. Die OECD-Schülervergleichsstudie PISA kann in diesem Sinne durchaus als wichtiger Impulsgeber verstanden werden.
Für Regierungsrat Siggy Koenig scheint die Richtung für die nächsten zehn Jahre bereits klar. Neben der Festlegung von Bildungsstandards und einer gewissen Autonomie, die neue Wege eröffne, sei die Evaluation der Schulen ein wichtiger Bereich. Hierbei gehe es nicht um das Erstellen einer Hitparade, sondern um die Suche nach pädagogischen Lösungen. Laut Koenig gelten diese Vorgaben aber nicht allein für den Sekundar-, sondern auch für den Primärschulunterricht.